Gestrandet im Outback

Der Mann kickt mit aller Gewalt gegen unseren Autoreifen. Einmal, zweimal, dreimal. Nichts rührt sich. Stefan übernimmt, holt aus, kickt und endlich: Der Reifen fällt von der Achse. Ein Jubelruf aus sechs Kehlen steigt in den rot gefärbten Abendhimmel über dem Outback.

Beim Reisen gibt es die schönen, einfachen, entspannten Tage. Und dann gibt es die Tage, an denen eine Herausforderung die nächste jagt und man kurz davor ist, alles hin zu schmeißen. Aus Erfahrung wissen wir, dass letztere die Geschichten schreiben, über die man auch Jahre später noch spricht.

Um 5:12 Uhr reißt mich ein zartes, aber penetrantes Trippeln aus dem Schlaf. In den vergangenen Tagen hat mein Unterbewusstsein das nächtliche Geräusch immer als Traum abgeschrieben. Jetzt bin ich allerdings hellwach und das Trippeln kommt eindeutig aus der Küchenlade. Erste Amtshandlung des Tages ist das Ausräumen der Speiselade und unsere Befürchtungen bestätigen sich: Wir haben ein kleines Haustier, das irgendwo in der Verkleidung unseres Campervans die letzten 1.000 Kilometer mit uns zurück gelegt hat. Wir lachen über diese kleine Unannehmlichkeit, werfen die angeknabberte Packung Müsli weg und besorgen uns zwei Lebendfallen. Das wird die Gelegenheit, Jakob eine lebende Maus zu zeigen!

Unsere kleine Mitbewohnerin muss sehr niedliche Zähnchen haben...

Im Laufe des Vormittags klettern die Temperaturen rapide nach oben, bis das Thermometer kurz vor 11 Uhr 40 Grad anzeigt. Zum Glück steht die nächste Reiseetappe an und wir verbringen die heißesten Stunden des Tages im abgekühlten Auto.

Kalbarri ist eine kleine Siedlung am Kalbarri National Park, der mit einer außergewöhnlichen Landschaft aufwartet und in dem wir vor Jahren für eine 4-Kilometer-Wanderung 2,5 Stunden und 8 Liter Wasser brauchten - die Temperaturen in den Schluchten können bis auf 50 Grad steigen.

Wir checken ein und beschließen, am späten Nachmittag noch die knappe halbe Stunde in den National Park zu fahren, um das gute Licht für Fotos zu nutzen. Am Horizont zieht ein Gewitter auf und die schwarzen Wolken sorgen für eine spektakuläre Atmosphäre. Seit wir bei einem unserer vorherigen Roadtrips ein Wallaby überfahren haben, vermeiden wir normalerweise das Fahren im Abend- oder Morgenrot. Doch heute ignorieren wir unser Bauchgefühl und machen uns auf den Weg in‘s Outback. Kaum steigen wir beim neuerrichteten Kalbarri Skywalk aus dem Auto, machen sich hunderte, tausende Fliegen über uns her. Die kleinen Biester setzen sich in unsere Augen, Nasenlöcher, Mundwinkel. In‘s laute Summen mischen sich Jakobs Schreie: „I don‘t like flies! Mama Hilfe!“ Wir rennen zur Aussichtsplattform, schießen die obligatorischen Fotos und laufen, wild mit den Händen wedelnd, zurück zum Camper.

Der Kalbarri Skywalk bietet unbeschreibliche Ausblicke über den National Park...
...wenn da nur nicht die vielen Fliegen wären!

Es dauert wenige Sekunden, bis wir realisieren, was der eindeutig platte Hinterreifen bedeutet. Stefan steht mit hochrotem Kopf da, mir sinkt das Herz in die Hose und eine ganze Reihe nicht so kinderfreundliche Schimpfwörter sprudeln aus mir heraus. Gestrandet im Outback, ohne Handyempfang und ohne Aussicht auf Hilfe - wer fährt schon so spät am Tag in eine so abgelegene Gegend? Erst als mir bewusst wird, dass wir Kost und Logis ja immer dabei haben, werde ich ruhiger. Mit Anleitung des Autohandbuchs lösen wir den Reservereifen aus der Verankerung, bocken das Auto auf und lösen die Schrauben. Stefan zieht am platten Reifen und - nichts. Wir ziehen, stoßen, rütteln eine gute Viertelstunde und nichts rührt sich.

Die Sonne ist kurz davor, sich hinter dem Horizont zu verabschieden, als ich ein leises Motorengeräusch höre. Wenige Sekunden später biegt ein Auto um die Ecke, das erst langsam an uns vorbeifährt. “Do you guys need help?”, fragt der Fahrer in tiefstem amerikanischen Akzent. Gott sei gedankt für naive Touristen. Zwei ältere Paare steigen aus dem Auto und machen sich sogleich an unserem Reifen zu schaffen. Während ich mich mit den Frauen unterhalte (es handelt sich um australische Schwestern handelt, von denen eine mit ihrem amerikanischen Ehemann in Utah, USA wohnt und dank westaustralischer Grenzöffnung endlich wieder auf Besuch kommen kann), treten Stefan und die Männer abwechselnd gegen den störrischen Autoreifen.

Unser Reservereifen ist glücklicherweise bereits aufgepumpt und in gutem Zustand.
Da rührt sich nix...
Mit vereinten Kräften kommen wir schließlich doch an's Ziel!
Jetzt erst mal Wasserhaushalt nachfüllen...

Und Jakob? Der sitzt friedlich im Camper, ist vertieft in einen Kinderfilm am iPad und schaut erst dann erstaunt aus dem Fenster, als der Reifen endlich nachgibt und sechs Erwachsene auf einem leeren Parkplatz mitten im Nirgendwo in lautes Jubelgeschrei ausbrechen…

Nachtrag: Wir fahren am gleichen Abend mit Reserverad auf den Campingplatz zurück, fallen nach einer Dusche todmüde in's Bett und bringen das Auto am nächsten Tag in die lokale Werkstatt. Der hilfsbereite, wenn auch etwas mürrische und verwunderte Mechaniker (“These wheels are way too old for the outback! And I cannot believe there was still air in the spare tyre, the one you’ve got would have to be 12 years old.”) ruft im 160 Kilometer entfernten Geraldton an, bestellt die letzten zwei passenden Reifen, die in der Stadt vorrätig sind, und am gleichen Nachmittag liefert der tägliche Express-Truck die Reifen zur Montage. Kostenpunkt: Richtig gut investierte 528 AUD (und ein Six Pack Bier für den Mechaniker, der unsere Reise gerettet hat).

Einige Tage nach der Reifenpanne machen wir uns noch einmal auf in den National Park.
Jakob entpuppt sich als wahre "mountain goat" - Stock und Schlange Maddy immer fest im Griff.
"Nature's Window" oder laut Stefan: Österreich.
Dank des vielen Regens ist die üblicherweise trockene Schlucht eine wahre Oase.
Wir nehmen uns - dank Fliegennetzen - die Zeit, den Ausblick zu bewundern.
Ein seltenes Familienfoto, dank anderer Wanderer.
"Auffi muaß i, auffi aufn Berg!"
Und zum Schluss noch eine Foto der anderen Attraktion von Kalbarri - der täglichen Pelikanfütterung.
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