Die ersten Wochen: Erkenntnisse für‘s Leben

Der beste Mitfahrer der Welt sitzt in seinem „Sportsitz“ und singt aus voller Kehle mit: „Die Räder vom Campervan, die drehen sich, die drehen sich, die drehen sich…“ Gefühlte 187 Mal haben wir dieses Lied jetzt schon gehört und es ist jedes Mal wieder der Hit. „CD einschalten“, fordert Jakob, sobald wir das Auto starten. Und sitzt dann zufrieden auf dem Rücksitz, bis a) wir ankommen, b) er einschläft, oder c) „Jakob muss ganz schnell Pipi!“ Es war bisher erstaunlich einfach, mit Kind an Bord lange Distanzen zurück zu legen. Aber natürlich haben wir aus diesem ersten Monat on the Road gelernt.

Die wichtigsten Erkenntnisse bisher:

(Spoiler alert: Alle unten genannten Punkte könnten sich ohne weiteres auf’s allgemeine Leben - mit oder ohne Kind - beziehen. Außer Punkt 6. Der bezieht sich einfach nur auf’s Eltern-Sein.)

1. Ausreichender, guter Schlaf ist das beste Elixir. Glücklicherweise hat Jakob schon immer am besten geschlafen, wenn sich was bewegt. Egal ob im Kinderwagen (den wir auf diese Reise aus Platzgründen leider nicht mitnehmen konnten) oder im Auto - sobald es richtig schön holpert, ist er weg. Das nutzen wir aus und teilen lange Strecken in zwei Teile. Die ersten Stunden legen wir frühmorgens zurück, wenn alle ausgeschlafen, geduldig und gespannt auf den neuen Tag sind. Dann gibt es eine ausgiebige Spiel- und Brunchpause. Wenn es dann wieder losgeht, wird geschlafen. Und dann? Sind wir schon am Ziel - ausgeruht und bereit für neue Schandtaten (wenigstens einer von uns).

In der Kuschelhöhle. Der Camper scheint auf Jakob eine beruhigende Wirkung zu haben.

2. Fortschritt findet sich nicht immer dort, wo man ihn vermutet. Wer hätte gedacht, dass ein unscheinbares Städtchen 2 Stunden östlich von Melbourne den besten und inklusivsten Spielplatz aller Zeiten hat? Wir nicht! Traralgon bietet sich als Zwischenstopp an, weil es einen großen Supermarkt hat, Google Maps uns mehrere Spielplätze anzeigt, und es auf halber Strecke unserer heutigen Tagesetappe liegt. Ein wichtiger Leitsatz dieser Reise: Erlaube deinem Kind und dir selbst ausgiebiges Rumtoben und Beine vertreten in den Fahrtpausen. Der örtliche Spielplatz entpuppt sich als Paradies für Jakob. Was mich besonders beeindruckt: Der ganze Spielplatz ist als „Access for All“ Zone entworfen. Bedeutet: Eine breite Rampe ermöglicht bewegungsbehinderten Kindern Zugang zu den oberen Etagen des Kletterturms und zu den vielen Lernspielen, die dort an den Wänden angebracht sind. Außerdem gibt es eine Schaukel für RollstuhlfahrerInnen. Dieses völlig durchschnittliche, australische country town setzt ein Beispiel für die großen Metropolen und Touristenmagnete des Landes!

Eine Rampe ermöglicht es Kindern im Rollstuhl, auch die oberen Etagen des Spielplatzes zu erkunden.

3. Privatsphäre ist ein Menschenrecht. Und wir alle brauchen ab und zu eine Auszeit. Pipi-Pausen gestalten sich weit einfacher, wenn man im Auto Platz findet für ein tragbares Töpfchen. Nichts spricht gegen einen „bush wee“ am Straßenrand. Doch unser Kind schätzt Privatsphäre. Und wenn wir darüber nachdenken, dann sind das auch die einzigen Momente, wo sich ein Kleinkind ganz selbstbestimmt zurückziehen darf - wann sonst schauen Papa und Mama einfach weg? Wenn Jakob seine kleinen und großen Geschäfte im Auto verrichtet, dann fordert er ganz höflich: “Mama weggehen.” Und dann warte ich am Straßenrand, bis es Zeit für “Popo wischen” ist. Das können auch mal 20 Minuten sein…

"Mama, rausgehen." "Okay, mein Kind..."
Konzentriert bei der Auszeit am Straßenrand.

4. Flexibilität und die Bereitschaft, vom Plan abzuweichen, machen das Leben nicht nur einfacher, sondern sind überlebenswichtig. Wombats, Einsamkeit und beeindruckende Steinformationen: Der Wilsons Promontory National Park in Victoria ist uns von einem vorherigen Besuch in bester Erinnerung geblieben. Wir freuten uns schon seit Wochen auf die zwei Nächten auf dem nur notdürftig ausgestatteten Campground in der Wildnis. Doch dann - bekam Jakob am Tag vor der geplanten Anreise hohes Fieber. Er hatte sich wohl in der Nacht verkühlt, die Temperaturen waren gesunken bis auf 12 Grad. In solchen Situationen gibt es nur eine richtige Entscheidung. Wir blieben, wo wir waren und buchten für den nächsten Tag einen Bungalow. Mit einem kranken Kind in entlegene Gegenden zu fahren kommt nicht in Frage. Denn was wir an Australien so lieben, kann in solchen Situationen schnell zum Verhängnis werden. „Remote areas“ sind wirklich abgelegen und der nächste Arzt ganz weit weg. Deshalb jede Reise mit Verstand angehen. Und sich nur dann abseits der ausgetretenen Pfade begeben, wenn man in bester Verfassung und gut vorbereitet ist (genug Trinkwasser und Nahrungsmittel, genug Benzin, und ein gut ausgestatteter Erste-Hilfe-Koffer).

Mit krankem Kind reist es sich nicht gut. Da hilft erst mal schlafen.

5. Die Highlights einer Reise liegen im Auge des Betrachters. Von Kindern könnten Lonely Planet & Co viel lernen. Denn was die eine Reisende als “Must See” definiert, ist dem Anderen nicht einmal einen Blick wert. Die Great Ocean Road ist beeindruckend, ohne Frage. Aber was ist spannender? Acht rote Steinsäulen, die unverrückbar aus dem Wasser ragen ODER der kleine, wendige Sightseeing Helikopter, der mit lautem Knattern abhebt und eine Staubwolke aufwirbelt? ;-)

Hubschrauber-Landeplatz, das absolute "Must See" an der Great Ocean Road.
Wen interessieren langweilige Koalas, wenn man stattdessen mit neuen Freundinnen chicken soup kochen kann?

6. Reisen mit Kind ist anstrengend. Richtig anstrengend. Vieles von dem, was wir an unseren früheren Roadtrips so geliebt haben, ist jetzt schlichtweg nicht möglich. Spontan laufen gehen an einer besonders schönen Strandpromenade? Zu zweit in’s Meer springen und gemeinsam die Unterwasserwelt durch die Taucherbrille bewundern? Gemütlich in den Campingstühlen lungern und ungestört ein gutes Buch lesen? Den ganzen Tag draußen verbringen und Neues entdecken, ohne an Essen/Snacks/Mittagsschlaf zu denken? Den Gewitterwolken zuschauen, die über dem Meer bedrohlich näher ziehen? Fehlanzeige. Stattdessen ist da immer jemand, der sich weigert, selbst zu gehen. Der getragen werden will. Außer man ist auf einem gefährlich ausgesetzten Steg unterwegs. Dann natürlich selber laufen. Da ist jemand, der jetzt gerade nicht alleine spielen mag und so lange mit den Spielautos über die Seiten des Buches fährt, bis das Buch im Schrank verschwindet. Der vor Gewitterwolken Angst hat, und sofort zurück zum Camper will. Nur um dann sofort weiter zum Spielplatz zu laufen. Reisen mit Kind ist anstrengend. Aber auch ganz schön.

Ausgiebige Kuscheleinheiten sorgen für bessere Laune, wenn es mal nicht so passt.
Papa ist der Held - "Wildlife" zum Anfassen.
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