Kangaroo Island, Naturparadies im Great Australian Bight

Monatelang zogen schwarze Rauchschwaden über weite Teile Australiens. Die Waldbrände, die von Blitzen entfacht worden waren, waren sogar von der Internationalen Raumstation aus zu sehen. Der Sommer 2019/20 würde schließlich als Black Summer in die australische Geschichte eingehen. Kangaroo Island, eine Insel südlich von Adelaide, war von den Bränden besonders betroffen. Zwei Monate lang wüteten die Feuer, fast die Hälfte der Landfläche fiel den Flammen zum Opfer. Zwei Menschen kamen um's Leben, 60.000 Kühe und Schafe, 87 Häuser brannten nieder.

Zwei Jahre später sind die Folgen der Naturkatastrophe noch immer deutlich zu sehen. Verkohlte Baumstämme ragen wie Mahnmale in den Himmel, leblose Äste bieten keinen Lebensraum mehr. Die Auswirkungen auf die lokale Fauna und den Bestand von Tierarten, die ausschließlich hier heimisch sind, sind bis heute nicht bekannt. Im besonders stark betroffenen Westen der Insel, der großteils Naturschutzgebiet ist, sind die Wiederaufbauarbeiten in vollem Gange. Die meisten Bushcamps sind geschlossen und die Rezeption des einzigen Campingplatzes im Westen ist nach wie vor in einem Container untergebracht.

Und doch zeigt sich überall neues Leben. Zarte Eukalyptusblätter sprießen an den Büschen und grünes Unterholz bedeckt weite Teile des Flinders Chase National Parks. Und der örtliche Tourismusverband sieht das Glück im Unglück und wirbt damit, dass Touristen jetzt viel weiter sehen und bessere Ausblicke genießen könnten als noch vor zwei Jahren. Fährt man die längste gerade Straße der Insel entlang, dann eröffnen sich tatsächlich wunderbare Blicke auf blaue Buchten, wildes Meer und den Nationalpark.

Flinders Chase National Park
Saftig grün leuchtet das Unterholz, doch die Auswirkungen der Brände sind klar zu sehen.

Hauptattraktion und unser erster Stop sind die Remarkable Rocks. Diese Ansammlung seltsam geformter Felsblöcke, die vor der dramatischen Meereskulisse fast unecht ausschaue, sind wirklich „remarkable“, sprich: bemerkenswert. Ein brandneuer Boardwalk führt vom Parkplatz auf das Felsenplateau und Jakob rast auf seinem Rad voraus. Die Felsen entpuppen sich als der perfekte Kinderspielplatz. Die vielen Höhlen laden zum Verstecken ein und wir erklettern seltsam geformte Steinriesen. Ein Kraftplatz nicht nur für Erwachsene, sondern definitiv auch für Kinder!

Auch hier erholt sich die Natur langsam.
Mit dem Rad geht's am schnellsten (und ohne Gequengel!)
"Jemand zu Hause?"
Kinderspielplatz und Kraftplatz
Ihre Form verdanken die Felsen 500 Millionen Jahren Wind, Regen und Meeresgischt.

Einige Kilometer weiter findet sich der Admirals Arch. Auch hier ist der Boardwalk neu angelegt worden, um diesen Bogen, der zugleich auch als „Bushfire Last Resort Refuge“ (letzter Zufluchtsort im Falle eines Waldbrandes) dient, erreichbar zu machen. Weit faszinierender als die ausgefranste Felsenbrücke finden wir allerdings die Seelöwen-Kolonie, die hier nicht nur für einen hohen Lärmpegel, sondern auch für ziemlichen Gestank sorgt. Spätsommer ist Neugeborenen-Saison, und wir beobachten die süßen Babys beim Baden in den Felsenbecken. Laut Infotafeln gibt es einige Unternehmen, die hier „Swimming with the seals“ anbieten. Ein Angebot ganz nach unserem Geschmack, wären die Buchten nicht auch Spielwiese des Großen Weißen Hais…

Der Admirals Arch dient auch als letzter Zufluchtsort im Falle von Buschfeuern.
Die raue Landschaft wartet mit einer erstaunlich diversen Pflanzenwelt auf.

Überwältigt von den Eindrücken kehren wir am späten Nachmittag zu unserem Campingplatz zurück. Der Western Kangaroo Island Caravan Park bietet auf den ersten Blick nicht viel, vor allem nicht den Schnickschnack, mit dem die großen Campingplatz-Ketten Australiens aufwarten. Wer genauer hinschaut, der muss sich hier allerdings wohlfühlen. Die Betreiber sind freundlich, die Toiletten und Duschen blitzsauber und die Campküche bestens ausgestattet. Das wahre Highlight sind eindeutig die Koalas, die in den Bäumen essen und schlafen. Am ersten Tag zählen wir acht und wir trauen unseren Augen kaum, als sich ein großes Männchen am Abend in einer Astgabel auf Brusthöhe direkt neben unserem Camper niederlässt. Bonus ist der Lagoon Walk, der um eine nahegelegene Lagune führt und ein Paradies für Vogel- und Blumenliebhaber ist. Die Flora hier hat sich seit der Buschfeuer erstaunlich gut erholt.

Wir können Augen und Ohren nicht trauen, als dieser männliche Koala im Baum vor unserem Camper mit seinem Balz-Bellen beginnt.
Und ein Porträt am nächsten Morgen...
Beck's Lagoon ist ein Vogelparadies.

Doch nicht nur die Natur auf Kangaroo Island ist widerstandsfähig, auch die rund 4.600 Bewohner lassen sich nicht unterkriegen. Mitte des letzten Jahrhunderts waren die meisten Bauern hier Schafbauern. Als in den 1990er Jahren die Wollpreise drastisch abstürzten, blieb vielen nichts anderes übrig, als sich umzuorientieren.

Wir besuchen zwei Unternehmen, deren Besitzer das Glück im Unglück suchten und fanden, als sie ihre Schaf-Farmen schließen mussten. Der Inhaber von Clifford‘s Honey Farm machte sein Hobby zum Beruf und sattelte auf die Imkerei um. Inzwischen lebt die ganze Familie - Dave Clifford, seine Frau und deren Töchter samt Ehemännern und Kindern - von dem Betrieb, der neben Honig auch Kosmetikprodukte, Chutneys und Saucen, sowie Bienenwachskerzen anbietet. Wir decken uns in dem Laden, in dem eine gelangweilte und etwas mürrische junge Verkäuferin sitzt, mit Eukalyptus-Honig-Zuckerln ein und teilen uns ein Honigeis, das für unseren Geschmack ein klein bisschen zu süß ist.

Die Emu Ridge Eucalyptus Distillery beeindruckt uns ungleich mehr. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war die kommerzielle Herstellung von Eukalyptusöl der Haupteinkommenszweig auf Kangaroo Island. Es gab 48 Destillerien im Privatbesitz, die über 600 Inselbewohner beschäftigten. Das wertvolle Öl war das erste ernstzunehmende Exportgut Australiens. Die mühsame Herstellung des Öls und starke Konkurrenz aus Brasilien und China, den Ländern, in denen heute über 90% des weltweit verkauften Eukalyptusöls hergestellt wird, trieben die Kleinunternehmen auf Kangaroo Island aus dem Geschäft. Leider erwies sich auch die Alternative, die Schafzucht, als wenig erfolgreich. Als die Farm der Turners in 1991 kurz vor dem Konkurs stand, beschloss der junge Inhaber, das alte Handwerk wiederzubeleben. 20 Jahre lang pflanzten Larry und Bev Turner Eukalyptusplantagen an, besorgten sich alte Anleitungen zum Gewinnen des Öls und bastelten Prototypen von Ernte- und Pressmaschinen. Heute ist die nachhaltige Destillerie, die ausschließlich von Solarkraft betrieben wird und auf Pestizide und Chemikalien völlig verzichtet, die einzige kommerzielle Öldestillerie der Insel.

Das Öl wird in einem aufwendigen Prozess aus dem Blatt des heimischen Kangaroo Island Narrow Leaf Mallee, Eucalyptus cneorifolia, gewonnen. Die Büsche werden über 100 Jahre alt und können alle ein bis zwei Jahre geerntet werden. Dabei kommt es auf das richtige Timing an: Wird im Winter geerntet, können aus einer Tonne Blätter rund fünf Liter Öl gewonnen werden. Im Sommer vervierfacht sich die Menge, dann werden aus einer Tonne Blätter 20 Liter Öl gepresst. Die Herstellung selbst erfolgt heute großteils genauso wie vor hundert Jahren. Die Blätter werden in einen Stahlcontainer gegeben, der dann mit einem Netz verschlossen und umgekehrt auf einen etwas kleineren, mit Wasser gefüllten Container gesetzt wird. Feuer unter dem Wasserbehälter bringt das Wasser zum Kochen, der Dampf steigt auf, zerstört die Ölzellen in den Blättern und setzt den Öldampf frei. Wasser- und Öldampf steigen auf, werden in einer Stahlröhre abgekühlt und in einem Behälter getrennt. Das leichtere Öl landet schlussendlich in einem 10-Liter-Kanister. Besucherinnen und Besucher von Emu Ridge können das Gelände mit einem Informationsheft ausgestattet auf eigene Faust erkunden oder an einer geführten Tour teilnehmen.

Im Shop, der gleichzeitig Informationszentrum und Café ist, werden Flaschen unterschiedlichster Größen angeboten. Das 25ml-Fläschchen eignet sich bestens als Mitbringsel, für den 5l-Kanister um umgerechnet 235 Euro hat wohl nur Verwendung, wer einen Handwerksbetrieb besitzt und das Öl zum Entfernen von Malerfarbe und Maschinenölflecken verwendet. Doch auch in der Naturapotheke ist die wertvolle Flüssigkeit vor allem als Tinktur sehr beliebt. Eukalyptusöl wird bei Erkältungen und Heiserkeit etwa in der Duftlampe angewendet, wirkt als natürliches antiseptisches Mittel bei Verbrennungen, Akne, oder Abschürfungen, hält Stechmücken fern und hilft bei Muskelverspannungen.

Man merkt, dass dieser Betrieb mit Leidenschaft und Freude geführt wird. Der Besitzer sitzt gerade beim Kaffee im Vorhof, springt aber gleich auf und setzt für Jakob ein automatisches Auto in Betrieb. Und die Angestellten sind durch die Bank liebenswürdig und freundlich. Die Emu Ridge Eucalyptus Distillery ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass sich Ideenreichtum und Flexibilität, harte Arbeit und Freundlichkeit auf Dauer auszahlen.

Eingangsbereich der Eukalyptusdestillerie.
Wenn man die Blätter gegen's Licht hält, zeichnen sich klar die Ölzellen ab.
Die Anlage, in der das Öl gewonnen wird und die Larry Turner nach alten Vorlagen selbst herstellte.
Das Öl wird in zwei Läufen gewonnen, links das Öl nach dem zweiten Lauf, rechts nach dem ersten.
100% reines Eukalyptusöl in allen Größen.

Nach zwei Tagen an der Westküste der Insel fahren wir zurück in den Osten, der mit wunderschönen Strände lockt. Das Wasser in Vivonne Bay ist so klar und blau, wie es nur die Natur schaffen kann, ohne dass es kitschig wirkt. Leider ist es auch sehr windig, und so halten wir uns nur kurz an der ausgesetzten Jetty auf. Zum Glück sind wir mobil und ein windgeschützte Parkplatz wenige Meter weiter ist nicht nur ideal zum Mittagessen, sondern bietet auch umwerfende Ausblicke auf die Bucht.

Auf Kangaroo Island ist nur die Hauptstraße ist betoniert, alle anderen Straßen sind mehr oder weniger holprige Dirt Roads.
Vivonne Bay Jetty
Leider ist das Wasser relativ kalt und wir wagen wegen des starken Windes keinen Sprung in's Meer.
Unser kleines, geheimes Platzl für ein windstilles Mittagessen.
Verdauungsspaziergang

Großartige Ausblicke eröffnen sich ganz unerwartet auch am Tag unserer Abreise. Ich vertreibe mir die Wartezeit bis zum Einchecken auf der Fähre mit einem kurzen Spaziergang. Der Penneshaw Sculpture Trail befindet sich wenige hundert Meter vom Ferry Terminal entfernt und führt 1,6 Kilometer durch Buschland, das beinahe mediterran anmutet. Entlang des liebevoll angelegten Kunst-Weges spenden knorrige Liguster-Bäume Schatten. Skulpturen lokaler Künstler wurden gekonnt in die Landschaft eingebettet und schöne Holzbänke laden zum Verweilen ein. Immer wieder tut sich der Blick auf auf das blaue Meer und das Festland. Ein Wallaby springt über den Weg, Bienen summen in den Büschen. Dann sehe ich vom Hügel aus die Fähre anlegen. Es wird Zeit, sich zu verabschieden von dieser im wahrsten Sinne des Wortes gebrandmarkten, rauen, faszinierenden Insel mitten im Nirgendwo.

Diese wunderschöne Allee in Penneshaw blieb von den Feuern verschont.
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